Archiv

Schlagwort-Archive: Überwachung

tl;dr In der Diskussion über eine Gesellschaft unter Überwachung dominieren bisher technische Antworten auf technische Fragen. Die Zivilgesellschaft bleibt weitgehend außen vor. Sie steht vor wichtigen Fragen.

Seit dem Jahr 2013 ist bekannt, dass Geheimdienste uns alle längst in vorher nicht vorzustellen gewagtem Ausmaß überwachen. Auch andere Stellen sammeln alle Daten, derer sie habhaft werden können. Mit jeder zusätzlichen Enthüllung malen wir weiter an diesem hässlichen Bild. Empört, versteht sich.

Die ersten Antworten haben wir auch schon. So naheliegend wie letztlich nutzlos. Auf Überwachung reagieren wir mit Verschlüsselung. Auf die Gier nach Daten reagieren wir mit dem Verstecken von Daten. Das mag uns kurzfristig Erleichterung verschaffen. Es erhöht die Hürden für unsere Gegner. Doch es löst das Problem nicht. Denn es folgt der Logik unserer Gegner. Es macht das Problem der Überwachung zu einer Frage der Technik.

Das erklärt vielleicht auch das relative Desinteresse in der breiten Bevölkerung: Sie sieht sich zum Gegenstand eines technischen Wettlaufs gemacht, bei dem sie weder die eine noch die andere Seite sinnerfassend einzuschätzen weiß. Überwachung als Naturgewalt statt als gesellschaftliches Thema. Es kommen bestimmt auch wieder schönere Tage.

Technik kann in einer Gesellschaft ein Mittel zur Verwirklichung von Antworten auf Fragen sein. Technik ist gesellschaftlich jedoch weder als Frage noch als Antwort selbst geeignet. So auch hier. Bevor wir zur Technik kommen, brauchen wir Fragen und Antworten.

Was bedeutet es für das gesellschaftliche Miteinander, dass sehr viele Daten einer unbekannten Vielzahl von Menschen zugänglich sind? Welche Regeln wollen wir uns für den Umgang mit fremden Daten geben? Wen wollen wir dafür in die Verantwortung nehmen? Das sind nur einige der dringendsten Fragen.

Die meisten Ansätze zielen bisher anscheinend auf die, um deren Daten es geht. Sie werden für den Umgang damit in die Verantwortung genommen. Läuft etwas schief, seien sie selbst schuld. Es sei doch klar, dass alle etwas zu verbergen hätten. Hätten sie es halt mal verborgen oder gar nicht erst so weit kommen lassen. Diesen Ansätzen ist gemein, dass sie verschließende Tendenzen verfolgen. Sie sind damit für eine freiheitliche Gesellschaft ungeeignet.

Wie wäre es denn mit dem Gegenteil? Einer Gesellschaft, in der es nicht darauf ankäme, welche Daten wem bekannt sind oder werden? Einer Gesellschaft, in der Daten nur auf Wunsch der Betroffenen bedeutsam würden? Die Beschränkungen würden nicht mehr den Verursachern von Daten auferlegt, sondern potentiellen Verwendern, mithin: jeweils allen anderen.

Informationskompetenz ist bekannt als Herausfischen einiger weniger Informationen aus einer großen Informationsmenge. Im Kern geht es dabei um die Relevanz der Informationen.
Die allgegenwärtige Verfügbarkeit persönlicher Daten stellt uns vor die Herausforderung, der Informationskompetenz die Datenkompetenz beizugesellen. Entscheidend ist hier wiederum die Frage nach der Relevanz:

Welche Daten gehen uns etwas an? Wie schaffen wir es, alle anderen Daten, so verlockend sie auch sein mögen, nicht weiter zu beachten? Wie gehen wir mit Menschen um, die solche Daten dennoch beachten oder benutzen?

All diesen Fragen ist gemein, dass es danach gar nicht mehr auf den Stand der (Überwachungs-)Technik ankäme. Nicht mehr die Angst vor Überwachung dominierte, sondern selbstbewusste Maßstäbe einer freiheitlichen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die um den Wert von Daten weiß. Einer Gesellschaft, die um die Vorteile offener Strukturen weiß. Einer Gesellschaft, die darum auch selbstbewusst genug ist, ihre Nase nicht in jede Öffnung zu stecken. Einer Gesellschaft, die Datenschutz durch Datenrespekt verwirklicht.

Es ist an der Zeit, diese Fragen zu stellen.