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tl;dr Verbreitet diesen Text. Er ist gut.

In https://injensiv.wordpress.com/2014/03/26/ueberwachung-respekt-statt-bugfixes/ hatte ich grundlegende Fragen an die Zivilgesellschaft in Zeiten allumfassender Überwachung formuliert. Eine Antwort musste ich schuldig bleiben. Ihr möglicher Anfang folgt jetzt:

Informationelle Selbstbeschränkung! Mut zum Wegschauen! Wo Unrecht geschieht, müssen wir hinschauen. Doch die Mehrzahl dessen, was uns umgibt, ist kein gerade geschehendes Unrecht.

Schaut weg! Interessiert euch nicht für das Zimmer hinter dem offenen Fenster! Nicht für dessen geschmackvolle oder -lose Einrichtung! Nicht für die Unterhose auf dem Bett!

Hört weg! Es ist egal, wen Mitreisende abends warum treffen! Es ist egal, welche Probleme welche ihrer Bekannten haben! Sie reden nicht für euch darüber!

Klickt weg! Diese Nachricht ist nicht für euch! Dieses Bild ist privat! Es war nicht eure Party! Es ist nicht euer Leben!

Doch hört hin, wenn euch ein Mensch anspricht. Schaut hin, wo Unrecht geschieht. Verbreitet gute Texte.

Werdet informationskompetent – aus Sicht der Betroffenen!

tl;dr In der Diskussion über eine Gesellschaft unter Überwachung dominieren bisher technische Antworten auf technische Fragen. Die Zivilgesellschaft bleibt weitgehend außen vor. Sie steht vor wichtigen Fragen.

Seit dem Jahr 2013 ist bekannt, dass Geheimdienste uns alle längst in vorher nicht vorzustellen gewagtem Ausmaß überwachen. Auch andere Stellen sammeln alle Daten, derer sie habhaft werden können. Mit jeder zusätzlichen Enthüllung malen wir weiter an diesem hässlichen Bild. Empört, versteht sich.

Die ersten Antworten haben wir auch schon. So naheliegend wie letztlich nutzlos. Auf Überwachung reagieren wir mit Verschlüsselung. Auf die Gier nach Daten reagieren wir mit dem Verstecken von Daten. Das mag uns kurzfristig Erleichterung verschaffen. Es erhöht die Hürden für unsere Gegner. Doch es löst das Problem nicht. Denn es folgt der Logik unserer Gegner. Es macht das Problem der Überwachung zu einer Frage der Technik.

Das erklärt vielleicht auch das relative Desinteresse in der breiten Bevölkerung: Sie sieht sich zum Gegenstand eines technischen Wettlaufs gemacht, bei dem sie weder die eine noch die andere Seite sinnerfassend einzuschätzen weiß. Überwachung als Naturgewalt statt als gesellschaftliches Thema. Es kommen bestimmt auch wieder schönere Tage.

Technik kann in einer Gesellschaft ein Mittel zur Verwirklichung von Antworten auf Fragen sein. Technik ist gesellschaftlich jedoch weder als Frage noch als Antwort selbst geeignet. So auch hier. Bevor wir zur Technik kommen, brauchen wir Fragen und Antworten.

Was bedeutet es für das gesellschaftliche Miteinander, dass sehr viele Daten einer unbekannten Vielzahl von Menschen zugänglich sind? Welche Regeln wollen wir uns für den Umgang mit fremden Daten geben? Wen wollen wir dafür in die Verantwortung nehmen? Das sind nur einige der dringendsten Fragen.

Die meisten Ansätze zielen bisher anscheinend auf die, um deren Daten es geht. Sie werden für den Umgang damit in die Verantwortung genommen. Läuft etwas schief, seien sie selbst schuld. Es sei doch klar, dass alle etwas zu verbergen hätten. Hätten sie es halt mal verborgen oder gar nicht erst so weit kommen lassen. Diesen Ansätzen ist gemein, dass sie verschließende Tendenzen verfolgen. Sie sind damit für eine freiheitliche Gesellschaft ungeeignet.

Wie wäre es denn mit dem Gegenteil? Einer Gesellschaft, in der es nicht darauf ankäme, welche Daten wem bekannt sind oder werden? Einer Gesellschaft, in der Daten nur auf Wunsch der Betroffenen bedeutsam würden? Die Beschränkungen würden nicht mehr den Verursachern von Daten auferlegt, sondern potentiellen Verwendern, mithin: jeweils allen anderen.

Informationskompetenz ist bekannt als Herausfischen einiger weniger Informationen aus einer großen Informationsmenge. Im Kern geht es dabei um die Relevanz der Informationen.
Die allgegenwärtige Verfügbarkeit persönlicher Daten stellt uns vor die Herausforderung, der Informationskompetenz die Datenkompetenz beizugesellen. Entscheidend ist hier wiederum die Frage nach der Relevanz:

Welche Daten gehen uns etwas an? Wie schaffen wir es, alle anderen Daten, so verlockend sie auch sein mögen, nicht weiter zu beachten? Wie gehen wir mit Menschen um, die solche Daten dennoch beachten oder benutzen?

All diesen Fragen ist gemein, dass es danach gar nicht mehr auf den Stand der (Überwachungs-)Technik ankäme. Nicht mehr die Angst vor Überwachung dominierte, sondern selbstbewusste Maßstäbe einer freiheitlichen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die um den Wert von Daten weiß. Einer Gesellschaft, die um die Vorteile offener Strukturen weiß. Einer Gesellschaft, die darum auch selbstbewusst genug ist, ihre Nase nicht in jede Öffnung zu stecken. Einer Gesellschaft, die Datenschutz durch Datenrespekt verwirklicht.

Es ist an der Zeit, diese Fragen zu stellen.

Auf die Piraten aufmerksam wurde ich im Vorfeld der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011. Endlich eine Partei, die das Internet in seiner Bedeutung als Ort sozialen Lebens begreift und nutzt! Ab da verfolgte ich die Entwicklung der Piraten auf den diversen Kanälen im Internet. Ich sah die programmatische Entwicklung, aber auch die zahlreichen wüsten Streitereien. Ich sah, wie die Partei einerseits in einer Art Goldgräberstimmung überrannt wurde, andererseits aber klare Wertebekenntnisse, zum Beispiel eine klare Abgrenzung gegen Rechtspopulisten, ausblieben. Ich sah die SMV vorerst scheitern. Ich war enttäuscht. Wieder blieb eine frische Partei im linksliberalen Spektrum weit hinter dem zurück, was möglich gewesen wäre.

Dann kam der bleierne Wahlkampf zur Bundestagswahl 2013. Ein Wahlkampf, so frei von Politik, wie ich ihn mit meinen 35 Jahren noch nicht erlebt habe. Da half auch die Existenz der Piraten nicht viel. Denn die Piraten waren zwar munter und engagiert, aber als Gesamtpartei auf Bundesebene schlicht immer noch nicht politikfähig. Es mangelte immer noch am politischen Instinkt, zugleich drängten immer noch zu viele ins vermeintlich auf sie wartende Scheinwerferlicht. Eine Partei für meine Zweitstimme fand ich aus Gewohnheit und gewachsenen Wertvorstellungen zwar noch. Aber ich war frustriert, sehr frustriert. Nicht nur das, es hat mich irre gemacht, Tag für Tag in mir genagt.

Verrückt zu werden, ohne dies aktiv zu kanalisieren, ist kein guter Zustand. Außerdem habe ich mich immer als politischen Menschen begriffen, sozialisiert im links-grün-alternativen Bindestrichmilieu. Grüne Jugend, Grüne Hochschulgruppe, von 2003 bis 2005 auch Parteimitglied, zwar stets nur ein wenig vor Ort, aber immerhin, ich habe mich früher schon politisch engagiert.

So wuchs in dieser Phase, in der ich mir so sehr und so vergeblich einen politisierten Wahlkampf gewünscht hätte, in mir der Drang, mich selbst wieder politisch einzubringen. Mit den Grünen bin ich, bei aller Zustimmung zu weiten Teilen ihres Programms, durch. Sie sind längst zu sehr das, was sie für bürgerlich halten. Sie sind bräsig und in ihrer Aversion gegen radikale Neuerungen längst so, wie sie nie sein wollten und sollten.

Also dann doch die Piraten. Bei den Piraten geht es immer noch um die brennenden Fragen der Gegenwart. Im Kern und doch nur beispielhaft: Was bedeutet effektive Durchsetzung von Menschenrechten für alle Menschen heute? Wie die Gerechtigkeit erlangen, die gleiche Freiheit für alle erst ermöglicht? Wie Transparenz und informationelle Selbstbestimmung verbinden? Das sind brennende Herausforderungen, die sich nicht wegmoderieren lassen, die sich nicht für beendet erklären lassen, die aber auch genau gar nicht mit den Mitteln des 19. und 20. Jahrhunderts zu bewältigen sind.

So rückten nach und nach die Punkte, die mich bei den Piraten auch weiterhin stören, zur Seite. Zudem nahm ich an, dass ein Nichteinzug der Piraten in den Bundestag sich günstig auf die Partei auswirken werde. Wo kein Gold ist, ziehen hoffentlich auch die Goldgräber weiter. Irgendwann fasste ich in dieser Gemengelage den Entschluss: Wenn die Piraten nicht in den Bundestag einziehen, dann engagiere ich mich da.

Nach der Bundestagswahl nahm ich Kontakt zu den Berliner Piraten auf. Ich wollte mich schon noch in echt von den Menschen dort überzeugen.
Für meine Interessen wurde mir die Crew 65 im Wedding empfohlen. Wenn nicht jetzt, dann mache ich es nie: Ich besuchte deren nächstes Treffen. Aufgeschlossene Menschen, gute Diskussionen, viel spürbares Engagement; am nächsten Morgen war mein Aufnahmeantrag unterwegs.

Nun ist hier noch Platz für eine elegante Abrundung. Aber es geht ja erst los. Also erstmal ohne.